"Geschichte trifft Gegenwart:
Das Leben jüdischer Familien
in Goslar um 1933"
Ein Projekt der Klassen A2 und A4 im Schuljahr 2024/25
Die Klassen A2 und A4 sind Klassen unserer Schule in der Sekundarstufe II. Alle sind auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Da gehört es dazu, dass die Lernthemen schwieriger werden. Und Politik und Geschichte sind ziemlich schwierige und herausfordernde Themen ...
Alles begann so:
Im Mai 2024: Ein Europawahl-Seminar für Schüler und Schülerinnen
Im letzten Schuljahr haben wir anlässlich der Europa-Wahl an der Schule ein Seminar für alle wahlberechtigten Schülerinnen und Schüler durchgeführt. Sie haben sich mit Fragen zu Europa, zu Wahlzetteln, zum Wahlablauf und zum Wahlrecht befasst. Sie haben sich damit beschäftigt, warum es wichtig ist, zu einer Wahl zu gehen. Den Projektablauf haben wir dokumentiert und wir haben den Kinderrechtepreis 2024 in der Kategorie "Gesellschaftliche Teilhabe" gewonnen. Einen Teil des Preisgeldes werden wir für unsere Klassenfahrt nach Berlin im Juni 2025 verwenden.
Im September 2024: Wir planen eine Klassenfahrt nach Berlin
Unsere Unterkunft in Berlin ist gebucht und das war gar nicht so einfach. Wir nehmen Kontakt auf zu unserer Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis der Schule. Wir verabreden einen Besuch bei ihr im Bundestag in Berlin.
Und wir überlegen, was wir in Berlin machen wollen. Auf jeden Fall werden wir das Holocaust-Denkmal besuchen. Als wir Bilder davon im Internet anschauen, stellen sich uns viele Fragen. Was soll das bedeuten? Wozu sind die vielen großen Steine da? Sind da Namen drauf?
Wir müssen uns damit beschäftigen.
Im November 2024: Ein Unterrichtsprojekt beginnt ...
Unsere Lehrerinnen und Lehrer brauchen etwas Zeit für die Vorbereitung und das Besorgen von Materialien. Im November geht es weiter.
Alle Schülerinnen und Schüler der Klassen A2 und A4 treffen sich zu einer Planungsbesprechung. Wir überlegen miteinander, wie wir uns auf den Besuch des Holocaust-Denkmals vorbereiten können. Immer wieder ist von "Erinnerung" und "jüdischen Männern, Frauen und Kindern" die Rede. Viele Schülerinnen und Schüler haben schon mal was davon gehört, dass viele Menschen umgebracht wurden.
Wir entscheiden, dass wir uns besonders mit dem Leben jüdischer Familien in unserer Schulregion Goslar beschäftigen wollen. Wir legen unseren "Forschungszeitraum" auf das Jahr 1933 fest.
Der jüdische Friedhof in Goslar
Wir besuchen den jüdischen Friedhof in Goslar. Männliche Besucher des Friedhofes tragen eine Kippa. Wir sehen, dass es hier keine Blumendekorationen gibt, sondern dass viele kleine Steine abgelegt wurden. Sie sollen zeigen, dass sich jemand erinnert.
Das Grab der Familie Heilbrunn auf dem Goslarer Friedhof zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Können wir dazu etwas herausfinden?
Das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Heilbrunn
Mitten in der Goslarer Innenstadt erinnert eine Informationstafel an einem Haus daran, dass hier die Familie Heilbrunn gelebt hat. Sie waren eine jüdische Familie. Ihr Haus wurde geplündert und verwüstet. Personen aus der Familie wurden zuerst vertrieben, später ins Konzentrationslager gebracht. Der Sohn Kurt der Familie konnte fliehen.
Im Stadtarchiv Goslar
Im Stadtarchiv erfahren wir viel über alte Dokumente und wir können sogar in den Teil des Archives gehen, der normalerweise nicht für Besucher zugänglich ist. Wir suchen nach einem Bild, auf dem Kurt Heilbrunn zusammen mit einem Freund zu sehen ist. Wir sind richtig stolz, als wir eine Kopie des Bildes bekommen. Als wir es genau untersuchen, stellen wir fest, dass es die Häuser auf der Grafik noch heute in Goslar gibt. Wir müssen diese Stelle finden!
Die enge Straße mit der Laterne
Auf dem Stadtplan finden wir die Stelle und wir gehen dorthin. Die Laterne, die am seitlichen Bildrand zu sehen ist, hängt noch heute dort! Wir stellen das Bild nach: Kurt und sein Freund gehen die Gasse entlang und von vorn kommen drei Jungen, die sie erschrecken wollen. Oder auch beleidigen und bedrohen? Wir sprechen darüber, welche Gefühle bei Kurt und seinem Freund wohl entstanden sind ... In einem Buch über das Leben jüdischer Familien in Goslar finden wir Briefzitate, die uns dies genauer beschreiben.
Ist doch LOGO! Eine Dokumentation mit Maral
Aus einer Dokumentation des KIKA-Kanals erfahren wir viel über das jüdische Leben. Immer wieder ist von Schabbat und Synagogen die Rede. Wir nehmen Kontakt auf mit der Synagoge in Braunschweig und fahren dorthin.
Im Dezember 2024: Die Synagoge in Braunschweig
Wir sind ziemlich aufgeregt. Wieder werden Kippot (Das ist die Mehrzahl von Kippa, das wissen wir schon) verteilt. Wir erfahren etwas darüber, wie man sich in Synagogen verhält und welche Dinge sich in dem großen Schrank befinden. Wir dürfen das Ansichtsexemplar einer Tora anschauen und sehen, dass Hebräisch aus ganz anderen Schriftzeichen besteht und von rechts nach links geschrieben und gelesen wird.
So viele Bücher zum Thema ...
Aus der Bibliothek leihen wir Bücher aus. Natürlich ist das "Tagebuch der Anne Frank" dabei. Aber auch Geschichten aus "Kinder unter'm Hakenkreuz" haben uns sehr berührt, besonders die von Erna, die sich gegen den Boykott des jüdischen Geschäftes auf der anderen Straßenseite wehrt. Diese Geschichte zeigt uns ziemlich genau, wie es der Familie Heilbrunn gegangen sein muss.
Wir putzen Stolpersteine
In Goslar gibt es verschiedene Stellen mit Stolpersteinen. Oft befinden sie sich da, von die Familien gelebt haben. Wir teilen uns in Gruppen auf und besuchen diese Ort. An den Stolpersteinen lesen und hören wir Texte zu den Personen, an die die Steine erinnern. Wir putzen die Steine, damit sie wieder gut sichtbar sind.
Im Januar 2025: Eine Videokonferenz mit Viktoria
Eigentlich hatten wir uns auf dem Besuch zweier Ehrenamtlicher vom bundesweiten Projekt "Meet a Jew" gefreut. Aber beide sind krank geworden. Dafür springt Viktoria ein, sie ist Regionalkoordinatorin bei "Meet a Jew". In einem Video-Telefonat erzählt sie uns aus ihrem Alltag und von ihrer Art und Weise, den Schabbat zu leben. Wir können alle Fragen stellen, die wir haben. Auch die nach ihrem Lieblings-Challah-Rezept ...
Wir planen eine Ausstellung
Wir haben so viel Wissen zusammengetragen! Im Gespräch haben wir die Idee, dass wir eine Nachbildung des Holocaustdenkmals gestalten und damit das Wissen über die jüdischen Familien Goslars verknüpfen wollen. Das wird ganz schön herausfordernd, aber wir schaffen das!
Zuerst brauchen wir viele leere Tetrapaks, die wir schwarz anstreichen. Das werden unsere "Holocaust-Steine".
Wir organisieren uns eine Menge Playmobil-Figuren und ordnen ihnen Namen zu. Wir nehmen Audiodateien auf, die vom Leben verschiedener Personen berichten. Jetzt ordnen wir alles auf einer großen Platte an. Wenn man die Tetrapaks hochnimmt, erscheinen darunter Figuren mit QR-Codes. Beim Abscannen kann man die Texte hören. So bekommt man einen Eindruck vom Leben jüdischer Männer, Frauen und Kindern aus Goslar um 1933.
Wir gestalten Pinnwände mit Sach- und Erklärmaterial.
Wir stellen ein Memory mit vielen Symbolen aus dem Judentum her.
Wir bauen das Kurt-Heilbrunn-Bild mit Playmobil-Figuren nach und stellen es dem "Original" in einem Guck-Kasten gegenüber.
Wir versenden unsere Einladungen zur Ausstellungseröffnung
Und zwar ziemlich viele. Wir laden alle Kooperationspartner ein. Und die Schülersprecher unserer und der Nachbarschule, denn sie sollen anderen von der Ausstellung erzählen und die Schüler aus ihren Klassen einladen, damit noch viel mehr Jugendliche von dem Thema erfahren. Wir wollen die Schüler aus einer Schule in Goslar begrüßen, die sich in einer Arbeitsgemeinschaft mit dem jüdischen Leben befassen. Der Vorsitzende des Vereins "Spurensuche im Harz" hat zugesagt, unser Landrat wird kommen ... Der Raum, den wir eigentlich zur Ausstellungseröffnung geplant haben, wird nicht reichen. Wir brauchen einen größeren Raum - unsere Mensa!
Ausstellungsvorbereitung
Wir üben, am Mikrofon zu sprechen, räumen die Mensa ein, checken die Pinnwände. Soll es Blumendekoration geben? Wir brauchen Traubensaft, das hat uns Viktoria von "Meet a Jew" gesagt. Sie serviert das immer zum Schabbat. Ist der Kamera-Akku aufgeladen, ist das Mikrofon angeschlossen? Wir sind schon ziemlich aufgeregt ...
Ausstellungseröffnung am 6. Februar 2025
Unser Projekt wird heute vorgestellt! Wir sind so aufgeregt! Seit vielen Tagen checken wir jeden Morgen im Büro die Liste der Zusagen auf unsere Einladungen und diese Liste wird lang und länger! Wir werden noch mehr Stühle brauchen ...
Wir räumen unsere Mensa um und bauen die Ausstellung auf. Pinnwände werden hereingerollt, der Guck-Kasten bekommt einen Platz, Stehtische werden hingestellt. Der einzige, der ganz ruhig vor sich hin chillt, ist der Hefeteig für das Challah-Brot ...
So viele Gäste waren da! Wir haben uns gefreut, dass ganze viele Einladungen angenommen wurden.
Es wurden Reden gehalten und Dankesworte gesprochen. Sehr interessant war der Film, der über die drei Monate Projektzeit gedreht wurde. Die Gäste konnten genau sehen, wo wir waren, was wir gearbeitet und erlebt haben. Uns hat das Thema sehr bewegt und auch bei den Gästen wurde das eine oder andere Taschentuch gezückt.
Dann kam der große Moment - die Ausstellung wurde eröffnet. Das gelbe Band um unser Holocaust- Modell wurde zerschnitten, wie es sich eben für eine Eröffnung gehört.
Das war das Zeichen, dass die Gäste die Ausstellung erforschen durften: Die meisten Besucher haben gleich die QR-Codes der Playmobil-Figuren ausprobiert. Sie konnten dann Texte zu jüdischen Personen aus Goslar hören, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden.
(Fotos: J. Arnold)
Wir sind mit unseren Gästen ins Gespräch bekommen und haben oft den Vorschlag gehört, dass die Ausstellung auch anderen Gästen zur Verfügung stehen sollte. Wir finden auch, dass das eine tolle Idee ist. Die Schulklassen aus Vienenburg und Goslar dürfen anfangen und zu Besuch in unserer Ausstellung sein. Wir werden beim Verstehen durch Vorträge und Erklärungen helfen. Und dann wandert die Ausstellung weiter, voraussichtlich an den Kulturmarktplatz Goslar. Das Gästebuch wandert mit. Schon heute gab es viele berührende Einträge.
Danke an dieser Stelle an alle, die unser Projekt unterstützt haben!